Die Musik selbst wird parodiert

Plattenbau: «Draußen die Herrliche Sonne (Extrakt)»

  • Jens Buchholz
  • Lesedauer: 3 Min.

«Max Goldt ist Schriftsteller. Über seine Texte lacht man laut, und dann merkt man, eigentlich sind sie nicht lustig. Sie sind bitter oder böse oder beides. So ähnlich ist es mit seiner Musik auch. Nur ist die viel weniger bekannt. Goldts Texte sind stilistisch sehr geschmeidig. Ihre Sperrigkeit liegt eher am Inhalt. Bei seiner Musik kommt die Sperrigkeit nicht nur aus dem Inhalt der Texte, sondern vor allem aus der musikalischen Gestaltung.

Der Literaturwissenschaftler Moritz Baßler begegnete der Musik Max Goldts zum ersten Mal Anfang der achtziger Jahre. Der Song »Wissenswertes über Erlangen« lief im Radio. Das war Goldts einziger »Hit« mit seiner Band Foyer des Arts. »Schon die in den 80er Jahren entstandenen Songs Goldts praktizieren den Abschied von der avantgardistischen Bedeutungsgravität nicht nur, sondern thematisieren ihn auch«, charakterisiert Baßler das Besondere an Goldts Musik. »Ein LP-Titel wie ›Die Unfähigkeit zu frühstücken‹ (1986) wird schon recht deutlich, unmissverständlich dann etwa ›Ein Eimer voll Erbsen mittelfein‹ (vom Solo-Album ›Die majestätische Ruhe des Anorganischen‹, 1984).«

»Ein Eimer voll Erbsen mittelfein« ist auf der letztes Jahr erschienenen Mega-Kompilation »Draußen die herrliche Sonne« enthalten. Der Song zeigt nicht nur exemplarisch, wie der Lyriker Max Goldt arbeitet, sondern auch die Produktionsweise des Musikers Goldt und seiner Partner. Bei ihm gibt es keine Hymnen und keine Balladen. Es gibt keinen Rock und keinen Pop. Eigentlich macht Goldt gar keine Musik. Es sind eher Musik-Parodien, die in Tonfolgen und Arrangements gesetzt sind. Aber nicht in dem Sinne, wie beispielsweise Eric Idle und Neil Innes The Beatles als The Rutles parodiert haben. Denn das ist eigentlich eine ziemlich kunstvoll gemachte Hommage an die Originale. Bei Max Goldts Musik hingegen gibt es keine Originalität. Sie ist eher originell. Es ist auch keine Parodie wie Frank Zanders kunstvolle Albernheiten wie »Hier kommt Kurt!« oder Diether Krebs’ »Ich bin der Martin, ne ...?!« Denn das ist liebevoller Klamauk. Also was parodiert Goldt? Wahrscheinlich die Musik selbst.

Im Grunde funktionieren die Tonfolgen und Arrangements von Goldt und seinen Mitmusikern ähnlich wie seine Texte. Sie sperren sich der popmusikalischen Bedeutungsgravität. Ähnlich wie bei den späten Goldenen Zitronen, aber ohne moralischen Impetus. Man könnte sagen: Es sind zynische Tonfolgen. So wie sich Goldt mit dem Albumtitel »Die Unfähigkeit zu frühstücken« Alexander Mitscherlichs einflussreiches, aber bleischweres psychoanalytisches 68er-Diktum von der »Unfähigkeit zu trauern« vornimmt, so nimmt sich Goldts Musik die Popmusik vor. Latent aggressiv. Dem Deutschlandfunk erzählte er, dass er sich jenseits gängiger Popmelodien bewegen wollte.

Die CD-Box »Draußen die herrliche Sonne« enthält sechs CDs, die den Hörer natürlich komplett überfordern. Nicht ganz so überfordernd ist »Draußen die herrliche Sonne (Extrakt)«, das jetzt herausgekommen ist - und nur aus zwei CDs besteht. Die Plattenfirma preist das als »das Feinste vom Feinsten aus 20 Jahren Max-Goldt-Musikgeschichte« an. Da denkt man sofort an Erbsen. Mittelfein. Die sind aber bei der Auswahl leider nicht dabei.

Goldt hat Songs von Foyer des Arts, seiner Band Nuuk und viele Solowerke ausgewählt, die er zwischen 1980 und 2000 aufgenommen hat. Manches ist bereits bekannt, einiges gibt es in neuen Versionen, und wieder anderes ist bisher nicht veröffentlicht worden. Höhepunkt des »Extrakts« ist das Studio-Demo des Foyer-des-Arts-Songs »Schimmliges Brot«. Fast verstörend wirkt dagegen ein echter englischsprachiger Popsong wie »Drums On Mind«, der ein bisschen klingt, als hätten sich The mit den Specials zusammengetan.

Max Goldt: »Draußen die Herrliche Sonne (Extrakt)« (Tapete/Indigo)

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